StrahlenschutzPRAXIS

Zeitschrift für den sicheren Umgang mit ionisierender und nichtionisierender Strahlung

Energie und Strahlung − ein kurzer Blick in das Wurzelwerk des Strahlenschutzes

Von: Rainer Gellermann, Clemens Walther

Mit der Beherrschung des Feuers wurde die Erzeugung von ausreichender Energie essenziell für die Entwicklung der Menschheit – und wird es auch weiter sein. Derzeit ist die Energiewirtschaft in einem Wandel, der zumindest in unserem Kulturraum gern als „grüne Wende“ etikettiert wird. Weg von den alten fossilen Energieträgern hin zu den unerschöpflich erneuerbaren Quellen Wind, Wasser und Sonne. Frei von gefährlicher Strahlung und zutiefst ökologisch, das sind zweifellos gute Visionen.
Als Physiker und Strahlenschützer sehen wir aber, dass die Etiketten, die diesen Visionen angeheftet werden, naturwissenschaftliche Sachverhalte ausblenden.

Energiegewinnung und Energienutzung und der Strahlenschutz

In einem kleinen Schema (s. Abb. 1) haben wir versucht, die vielfältigen Bezüge sichtbar zu machen, die es im Zusammenhang mit der technischen Energiegewinnung und Energienutzung zum Strahlenschutz gibt – und die nicht verschwinden, wenn die Energie „grün“ wird.

Abb. 1: Das „Wurzelwerk“ von Energie und Strahlung. Gelb: Quellen und Formen von Strahlung
Standardmodell der Teilchenphysik

Lassen wir die Dunkle Energie des Universums beiseite und gehen vom Standardmodell der Teilchenphysik aus, dann sind es 4 Urkräfte, die unsere Welt zusammenhalten:
Beginnend bei der kürzesten Reichweite mit nur 1E-18 m sorgt die „Schwache Kernkraft“ für die Wechselwirkung zwischen Leptonen (z. B. Elektronen und Myonen) und ist zudem für den Beta-Zerfall verantwortlich.
Die „Starke Kernkraft“ bindet die Protonen und Neutronen im Atomkern auf einer Skala von Femtometern. Die unendlich reichweitige elektro-magnetische Wechselwirkung bindet Elektronen und Atomkerne zu Atomen und Molekülen und verursacht die Emission von Photonen aus der Elektronenhülle.
Die Gravitation, mit ebenfalls unendlicher Reichweite, hält über weite Distanzen große Massen zusammen.

Der Urknall und die Energie

Alle Energie der Welt wurde beim Urknall geschaffen und hat sich seitdem in vielen Prozessen umgewandelt.
Aus der Ursuppe von Elementarteilchen kochte die erste Sternengeneration leichte Elemente und in den Brennprozessen weiterer Sternengenerationen wurden daraus schwerere Elemente bis hin zum Eisen. Am Ende ihres Lebens generieren Sterne durch Neutroneneinfänge im sogenannten s-Prozess und in den in Supernovaexplosionen ablaufenden r- und p-Prozessen schwere Elemente bis hin zu Thorium, Uran und den Transuranen.
Die Massen der Himmelskörper und die frei werdende Bindungsenergie bei Kernreaktionen sind die primären Quellen aller nutzbaren Energie. Fusionieren oder spalten sich Atomkerne, wird also Kernenergie frei. Die Emission und Absorption von Licht sowie chemische Reaktionen wie die Verbrennung (Oxidation) fossiler Brennstoffe wandeln die in den Atomhüllen gespeicherte Energie um, verdienen also den Namen „Atomenergie“.

Wichtigste Energiequelle für die Menschheit

Eine besondere Rolle als wichtigste Energiequelle für die Menschheit haben die leichten Elemente Wasserstoff und Kohlenstoff, da im Fusionsreaktor der Sonne aus 4 Protonen 1 Helium-Kern entsteht (zum Teil mit dem Katalysator 12C). Die Energie dieses Reaktors gelangt durch elektro-magnetische Strahlung zur Erde und treibt hier im Schwerefeld der Erde den Wind und den Wasserkreislauf, lässt Biomasse wachsen und strahlt ästhetisch schön bei Sonnenauf- und -untergängen.

Fusionsreaktor Sonne

Der Fusionsreaktor Sonne strahlt aber auch gefährliche UV-Strahlung, Röntgen- und Gamma-Strahlung sowie Protonenschauer zu uns und trägt somit wesentlich zur kosmischen Strahlung und zur Erzeugung kosmogener Radionuklide wie 3H, 7Be, 14C u. a. bei.
Die Strahlung der Sonne ist daher nicht nur wichtigste Energiequelle für die Erde und das Leben auf der Erde, sie ist auch eine Strahlungsquelle, vor deren UV-Komponente der Strahlenschutz warnt und deren ionisierende Komponenten zu gesetzlichen Anforderungen an den Strahlenschutz in der Luft- und Raumfahrt führen.
Die direkte technische Nutzung der Fusionsenergie ist zwar noch Zukunftsmusik, wenn sie aber einmal gespielt werden wird, werden Radioaktivität und Strahlung sie unvermeidlich begleiten (siehe dazu Beitrag Karam).

Quellen von Energie

Die wichtigsten Energieträger der Weltwirtschaft sind noch immer Kohle, Erdöl und Erdgas. Ihre Energie ist aber nichts anders als die in den Kohlenwasserstoffmolekülen gespeicherte Kernenergie der Sonne, also echte „Atomenergie“. Obwohl diese Energieträger selbst radioaktivitätsfrei sind, hat es die Natur so eingerichtet, dass ihre Lagerstätten mit Gesteinen im Kontakt stehen, die Radionuklide enthalten. Für den Schutz vor Strahlenbelastungen und radiologischen Nebenwirkungen der Energiegewinnung aus Kohle, Erdöl und Erdgas sind daher Strahlenschützer gefragt (siehe dazu Beitrag Flesch).
Die andere große Quelle von Energie ist die Energie, die in den schweren Elementen am Ende des Periodensystems gespeichert ist.
Der Alpha-Zerfall von Uran und Thorium aufgrund der starken Kernkraft ist eine Energiequelle, die die Erde heizt und die Geothermie zu einer technisch nutzbaren Energiequelle macht. Über den Beta-Zerfall etlicher Töchter von U und Th sowie des primordialen Kalium-40 spielt hier ebenfalls die oben genannte Schwache Kernkraft eine starke Rolle (s. Abb. 2). Auch wenn die Wärme der Erde nur harmlose Infrarotstrahlung aussendet, die Tiefenwässer, die diese „grüne Kernenergie“ nutzbar machen, tragen vielfach Radionuklide mit sich, die als radioaktive Emissionen zu Expositionen und radioaktiv kontaminierten Abfällen führen.

Abb. 2: Radiogene Wärmeproduktion im Erdinnern

Technisch kann die Bindungsenergie der schweren Atomkerne natürlich ebenfalls genutzt werden. Kernkraftwerke werden seit mehr als 50 Jahren betrieben und selbst wenn Deutschland diese Form der Energiegewinnung beendet hat, bleibt sie weltweit eine wichtige Technik der Energieproduktion (siehe  Beitrag Prasser). Wir sollten an dieser Stelle nicht vergessen, dass Bau und Nutzung von Kernreaktoren maßgeblich zur Entwicklung des modernen Strahlenschutzes beigetragen haben.

Ausblick und Fazit

Für die Zukunft bleiben die Überwachung der radioaktiven Emissionen und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle Herausforderungen für den Strahlenschutz in Deutschland.
Technische Energieerzeugung ist aber kein Ding an sich, sondern benötigt Anlagen und Verteilungsnetze. Die elektromagnetischen Felder der Hochspannungsnetze erfordern heute genauso Strahlenschutz wie die Radionuklide, die über die Hintertür der Bau- und Werkstoffe in die Energietechnik kommen können und zu strahlenschutzrelevanten Situationen führen (siehe Beitrag Bittner).
In einer Zeit, in der viel gutes Wollen mit vielen guten Worten etikettiert wird, schien es uns angebracht, im naturwissenschaftlichen Wurzelwerk zu graben und Zusammenhänge zu skizzieren, die helfen können, den Strahlenschutz und seine Aufgaben bei der Produktion und Nutzung von Energie einzuordnen. Ob und wie die hier genannten Strahlungen für den Strahlenschutz relevant sind, hängt von den konkreten Bedingungen ab, die im Einzelfall vorliegen. Einige dieser Fälle werden im vorliegenden Heft beschrieben.